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 Pflicht und Kür (öffentlich)
Elektra Offline

und definetely not everybody's darling (Forumsbetreiber)


Beiträge: 41.083

01.04.2009 00:53
Mia ... Zitat · Antworten

... ist das Paradebeispiel dafür, was Ruhe und Entspannung, eine Reduktion von Streßfaktoren für einen unsicheren bis ängstlichen Hund bringen kann, ebenso, wie sie mich daran erinnert, daß Hunde sehr wohl gleichzeitig unsicher und doch auch "dominant" sein können.

Mia ist eine Schäfi-Mix-Dame. Frauchen eine nette, junge Frau, die bei ihren Eltern lebt und mit Mia den ersten eigenen Hund hat, nachdem sie zuvor immer die elterlichen Hunde mit betreut und geführt hatte.

Im Haus leben: Der Großvater, den Mia früher gerne ärgern ging und in dessen 1.-Stock-Wohnung sie mittlerweile nicht mehr darf. Die Eltern, die auf der gleichen Etage, im Erdgeschoß eines umgebauten Bauernhauses, leben, mitsamt ihrer Wolfspitz-Hündin Tami und eben besagte junge Dame, die zwei eigene Räume unterhält, die jedoch von den elterlichen ein wenig abgetrennt sind.

Als ich Mia und ihr Frauchen kennenlernte, hatte ich im Vorfeld gehört: "Die hat schon alles versucht, aber ..."
Dann hatte ich Mailkontakt gehabt und gehört: "Ich habe schon alles versucht, aber ..."

Hmmm, dachte ich, hoffentlich habe ich bei soviel Vorwissen überhaupt noch Handwerkszeug, das für Halterin und Hund neue Wege eröffnen könnte.

Was ich vorfand war einen sehr unsicheren, aus Angst mehr oder minder dauerkläffenden Hund, der vor und zurück hüpfte wie ein kleiner Gummiball und ein Frauchen, das den Hund sehr liebte, aber dabei beständig überforderte. Und das nur in guter Absicht und weil der Kontakt zu den Eltern nun einmal war wie er war.

Im Detail hieß das: Frauchen hatte die Hündin, kaum war sie eingezogen, als Rettungshund ausbilden wollen. Sie hatte geglaubt, daß der Hund, wenn er denn von vorneherein eine Aufgabe habe, vielleicht mit seiner Angst besser fertig werden und Menschen eben gernhaben lernen könnte. Zudem hatte sie Mia mehr oder minder dauernd gemeinsam mit Tami geführt und auch in der Wohnung zusammen gelassen, in dem Bestreben, ihr eine Hundefreundin an die Seite zu geben, die halt sicherer wäre als Mia es zu dem Zeitpunkt sein konnte.

Was passierte, war, daß Mia immer "kläffiger" und stellenweise auch deutlich aggressiver wurde als vorher, ihr Verhalten schien immer unkontrollierbarer zu werden.

Nachdem ich sie eine Weile in Interaktion mit ihrem Frauchen erlebt hatte, lag der Verdacht schnell nahe: Mia steht unter einem immensen Dauerstreß.

Sie himmelte (und himmelt immer noch) ihr Frauchen zwar an, bekam aber nicht das nötige Feedback, nicht die nötige ruhige Führung, sondern einen Menschen, der viel Gutes wollte, aber dabei viel zuviel tat und sich selbst noch zusätzlich dadurch verunsichern ließ, daß die Mutter, die beide Hunde mittags, wenn Mias Frauchen arbeitete, spazierenführte, behauptete: "Bei mir ist sie nicht so."

Es war von Anfang an ein ungeheurer Druck spürbar, der sich im Verlauf des Trainings auch immer stärker offenbarte, der nach außen sichtbar wurde, nachdem die ersten Trainingsstunden sehr gut, der Hausaufgabenteil sehr schlecht gelaufen war.

Hier war ein junger, auch für sich selbst sehr ehrgeiziger, nach Perfektion strebender Mensch, der seinem Hund gerecht werden wollte und der sich -in all der Mühe, die er sich gab- doch ständig anhören mußte, daß eigentlich nur er das Problem sei. Die Mutter, die solche Sätze sagte, verband mit ihnen jedoch nichts Böses, erreichte jedoch etwas, das sicher nicht Ziel ihrer Aussagen war: das Gegenteil einer Besänftigung, sondern quälende Selbstvorwürfe bei ihrer Tochter. Für Mia war das alles eine denkbar schlechte Kombination, wobei ich schnell das Gefühl hatte, daß wir nie wirklich etwas erreichen würden, wenn die Mutter nicht mit im Trainingsboot sitzen würde.

Und hier fing mein Problem bereits an: Die Frau ist nämlich eigentlich klasse. Sie übt bereitwillig mit, clickert ihren Wolfspitz-Mix fein an unserer Seite, aber ... sieht an vielen Stellen, an denen ich ihn sehe, keinen Handlungsbedarf, insbesondere da nicht, wo sich die beiden Hunde zusammen gelassen, gegenseitig so hochschaukeln, daß beide unter Streß geraten.

Ich mußte halt schauen, wo sie mitziehen und wo ich sie verlieren würde, entstanden ist ein Trainingskonzept, das vor allem zwei Dinge tut: Die Trainingseinheiten "mia-gerecht", d.h. sehr kurz zu halten. Die kleine Dame ist nicht sehr konzentrationsfähig, nach max. einer Viertelstunde ist sie, selbst wenn Entspannung auf dem Programm stand, regelmäßig an ihren mentalen Grenzen angelangt. Also verordnete ich allen Beteiligten kürzere, dafür aber häufigere Trainingsabschnitte, was für einen Trainer nicht wirklich lukrativ ist, für den Hund aber unglaublich wichtig.

Parallel baute ich in jedes Training mindestens zwei kurze Entspannungsphasen ein, was beiden "Kläffern" offenbar guttut, denn beide bellen nicht mehr soviel wie zu Anfang, und die Struktur in ihrer häuslichen Umgebung, die sie häufiger mal trennt und ihnen eigene Ruhezonen einräumt, tut ein übriges.

Zentral war auch der moralische Aufbau des Frauchens. Sie gab sich viel zu sehr die Schuld an Mias Verhalten, dabei löste sie es "nur" aus, ängstlich und unsicher ist der Hund schließlich von Natur aus. Das Dilemma lag, meines Erachtens nach, vor allem darin, daß die junge Frau einfach nicht wußte, WIE sie ihrem Hund helfen, WIE sie ihn führen mußte, um Schnappereien nach Artgenossen und Pöbelanfälle in Richtung Menschen, zu vermeiden.

Es ist wirklich sehr spannend: In dem Moment, in dem wir für eine angenommene Situation ein Handlungsschema für Mensch mit Hund aufgebaut haben, ist genau diese Situation auch "gegessen". Die Halterin setzt alle Trainingsansätze eins zu eins, zielgerichtet und sicher um, sie übt fleißig, aber nicht zuviel, ihr fehlt einfach an manchen Stellen genau dieses "WIE", um ihrem Hund Sicherheit und Schutz geben zu können.

Die letzten drei Einheiten verliefen entsprechend auch für sie hoch erfreulich. Sie hat gelernt, wie sie Mias Aufmerksamkeit lenken kann, mal auf sich, mal per C&B auf den Artgenossen und dann auf sich, mal einfach in Richtung Futtertasche, an der Mia gezielt spechteln darf und soll, wenn der Streß allzu groß wird. Ich hatte einige befreundete Hundehalter mit ihren Vierbeinern als "Dummys" organisieren können, und Mia meisterte alles mit Bravour. Entsprechend stolz war Frauchen und vor allem entsprechend glücklich und erleichtert.

Zentral bei allem waren aber eben nicht nur die Abläufe, die geplant wurden, nicht weniger wichtig ist der Aufbau eines Entspannungssignals und vor allem das immer wieder aus Situationen "herausnehmen" des Hundes, das Sehen des Augenblicks, an dem der Druck zu groß wird und der Mißerfolg ins Haus stehen könnte.

Es ist schön, anzusehen, wie das Streß-Korsett so langsam von Mia runterfällt, wobei sich darunter ein, grmpf, jetzt auch noch durchaus ressourcenverteidigender und den zweiten Hund des Hauses dominieren wollender Hund entpuppt.

Es dauerte eine Weile, ich mußte einfach genug Durchläufe sehen, um festzustellen, daß die "Ausfälle", die Mia jetzt noch hat, weitgehend damit zu tun haben, daß sie ihr Frauchen als Ressource betrachtet und entsprechend verteidigt, ebenso, wie in der Interaktion mit Tami immer wieder die Pfoten auf deren Nacken landen oder die Konkurrentin weggedrängelt wird. Darauf gekommen bin ich ehrlich gesagt erst durch Ben. Als sie den anmaulte, als er sich bei ihrem Frauchen ein Leckerchen holen wollte, klingelte es bei mir, wir machten gezielte Testläufe, und es stellte sich heraus: Tatsächlich grummelt sie nur, wenn Frauchen zum anderen Hund will oder der andere zu ihr.

Daran werden wir nun weiter arbeiten müssen, wobei die Familie jetzt erstmal gemeinsam in Urlaub fährt, wofür wir beide Hunde jetzt erst einmal "fit machen" mußten, sprich: Sicherheitsabstände zwischen Tami und Mia sowie Spielregeln während gemeinsamer Spaziergänge sind aufgestellt und geprobt, Entspannungstücher und -signale konditioniert, eine Trennung der Tiere im Auto, die es bisher nicht gab, weil keiner daran gedacht hatte, daß auch das Zusammengepferchtsein im Kombi durchaus Streß bedeuten kann, ist veranlaßt - und Mia darf jetzt erstmal ein paar Tage den Strand rund um Fehmarn unsicher machen.

Ich bin gespannt, wie die beiden den Urlaub erleben und was die Halterin nachher zu berichten hat. :-)

Viele Grüße
Barbara mit Ritter Parcifal, Prince Maddox und Sir Lancelot sowie in ewiger Verbundenheit mit Malibub Athos, Seelenbub Ben, Spitzbub Ilias, Lausbub Seppl und 'dame de coeur' Lupa (G'lupa de la Noire Alliance)

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"Just a generation ago if you went near a dog when he was eating and the dog growled, somebody would say, 'Don't go near the dog when he's eating!, what are you crazy?' Now the dog gets euthanized. Back then, dogs were allowed to say, NO. Dogs are not allowed to say no anymore...They can't get freaked out, they can't be afraid, they can never signal 'I'd rather not.' We don't have any kind of nuance with regard to dogs expressing that they are uncomfortable, afraid, angry, or in pain, worried, or upset. If the dog is anything other than completely sunny and goofy every second, he goes from a nice dog to an 'AGGRESSIVE' dog." (Jean Donaldson)

Nina Offline



Beiträge: 3.332

09.04.2009 16:04
#2 RE: Mia ... Zitat · Antworten

Ich muß sagen, teilweise kann ich mich ganz gut in dem Beitrag wiederfinden. Ich habe auch immer geglaubt, dass ich "schuld" an Lottas Verhalten bin, schließlich war sie anfangs ja so problemlos und unkompliziert. Zu dem eigentlichen Problem kommen dann noch Schuldgefühle und auf einmal ist ein angebellter Hund nicht nur ein angebellter Hund sondern ein Schlag gegen das eigene Selbstbewußtsein und man fühlt sich wie ein Versager.

Nachdem ich mir klar gemacht habe, dass nicht ich den Hund "vermurkst" habe, sondern dass sie sich einfach traut, ihre Ängste zu zeigen, fand ich die ganze Situation auf einmal viel weniger schlimm.

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